Bozen, Göttingen, 13. September 2023
Eine breite Koalition von humanitären Organisationen, Menschenrechtsgruppen, Graswurzelorganisationen aus dem Sudan und Fachleuten für Genozid-Prävention, darunter die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), hat einen dramatischen Appell an die Vereinten Nationen und speziell den UN-Sicherheitsrat formuliert. Er wird heute in New York übergeben. Die Unterzeichnenden werfen der internationalen Gemeinschaft Untätigkeit im Angesicht des entsetzlichen Krieges im Sudan vor. Das Land stünde nicht mehr am Abgrund, es sei bereits hinabgestürzt, heißt es in dem Schreiben.
Leider, beklagt Sarah Reinke, Leiterin der Menschenrechtsarbeit der GfbV, habe auch die Bundesregierung nicht die dringend notwendigen Schritte unternommen, um die Gewalt im Sudan einzudämmen und den Betroffenen humanitär zu helfen: „Jetzt braucht es endlich eine gemeinsame Kraftanstrengung von Regierungen, internationalen Organisationen wie den UN und NGOs. 20 Jahre nach dem Genozid in Darfur dürfen wir nicht tatenlos zusehen, wie sich ein weiterer Völkermord anbahnt.“
Der UN-Sicherheitsrat müsse eine Resolution verabschieden, die die willkürliche Gewalt gegen die Zivilbevölkerung und die Straflosigkeit für Verbrechen verurteilt sowie freien und sicheren Zugang für humanitärer Hilfe einfordert. Internationale Bemühungen zum Schutz der Zivilbevölkerung müssten koordiniert werden, heißt es in dem Appell: „Seit Kriegsbeginn im April mussten mehr als fünf Millionen Menschen aus ihren Häusern fliehen. Mehr als 20 Millionen Menschen, also 42 Prozent der sudanesischen Bevölkerung sind von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen. Mindestens 498 Kinder sind bereits verhungert. Kliniken und Ärzte stehen im ganzen Land unter Beschuss, sodass 80 Prozent der großen Krankenhäuser schließen mussten.“
Der Appell:
Gemeinsame Erklärung fordert mehr Hilfe, Solidarität und Aufmerksamkeit für die Sudan-Krise
(New York, 13. September 2023) – Wir, die Leiter von über 50 Menschenrechts- und humanitären Organisationen haben sich zusammengeschlossen, um Alarm für den Sudan sich vor unseren Augen abspielt. Während im ganzen Land weiter Kämpfe toben, gibt es brutale sexuelle Gewalt, vorsätzliche und wahllose Angriffe auf Zivilisten. Journalisten und Menschenrechtsaktivisten werden zum Schweigen gebracht. Damit steht das Land nicht mehr am Abgrund – es ist bereits hinabgestürzt.
Seit April, als in der sudanesischen Hauptstadt offene Feindseligkeiten ausbrachen, waren mehr als fünf Millionen Menschen gezwungen, aus ihren Häusern zu fliehen. Hunderttausende weitere könnten bald gezwungen sein, sich ihnen anzuschließen. Viele leben jetzt in Lagern mit begrenztem Zugang zu humanitärer Hilfe, wenigen Bildungsmöglichkeiten für ihre Kinder und fast ohne psychosoziale Unterstützung, bei der Verarbeitung ihrer traumatischen Erlebnisse.
Im Sudan sind mehr als 20 Millionen Menschen, also 42 Prozent der Bevölkerung, von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen. Sechs Millionen Menschen stehen kurz vor einer Hungersnot. Mindestens 498 Kinder sind an Hunger gestorben. Kliniken und Ärzte sind im ganzen Land stehen unter Beschuss geraten, so dass 80 Prozent der großen Krankenhäuser des Landes außer Betrieb sind.
Hassreden, insbesondere solche, die dazu auffordern, Gemeinschaften aufgrund ihrer Hautfarbe ins Visier zu nehmen, sind immer alarmierend. Doch in einem zunehmend zerrütteten sozialen Gefüge nehmen einige Kämpfer Zivilisten aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit ins Visier nehmen. Überlebende sexueller Gewalt in Darfur berichten, ihre Vergewaltiger hätten ihnen gesagt: Wir hoffen, dass ihr „unsere“ Kinder gebärt. Wir befürchten daher das Schlimmste.
Zwanzig Jahre nachdem die Schrecken von Darfur unser Gewissen erschüttert haben, versagen wir vor der nächsten Herausforderung. Bislang haben die Vermittlungsbemühungen die sudanesischen Kriegsparteien nicht von ungeheuerlichen Übergriffe abgehalten. Wir drängen auf ein gemeinsames Vorgehen, das die Stimmen und Perspektiven der sudanesischen Zivilbevölkerung einbezieht, einschließlich der Frauen, Jugendlichen und Vertretern aus der historisch marginalisierten „Peripherie“.
Wir verpflichten uns zur Zusammenarbeit, um mehr Hilfe, mehr Solidarität und mehr Aufmerksamkeit für die Bedürfnisse der Zivilbevölkerung des Sudan. Der humanitäre Appell der Vereinten Nationen bleibt ist nach wie vor völlig unterfinanziert – etwa 25 Prozent des Bedarfs – und die Kriegsparteien im Sudan untergraben weiterhin alle Bemühungen um eine sichere Lieferung der Hilfsgüter. Die Geberländer sollten die humanitäre Hilfe aufstocken, sowohl für lokale als auch für internationale Organisationen, die Hilfe im Sudan und in den Nachbarländern leisten.
Die Kosten der Untätigkeit steigen. Der UN-Sicherheitsrat sollte vom Reden zum Handeln übergehen und Verhandlungen aufnehmen, um eine Resolution zu verabschieden, die das Klima der Straflosigkeit in Frage stellt und das Völkerrecht bekräftigt. Dieses verlangt einen sicheren und ungehinderten humanitären Zugang. Internationale Bemühungen sollten sich auf einen besseren Schutz der schwächsten Bevölkerungsgruppen im Sudan konzentrieren. Die Folgen des Nichtstuns sind zu schwerwiegend, um sie sich vorzustellen.
Unterzeichner (in alphabetischer Reihenfolge, auf Englisch)
– African Centre for Justice and Peace Studies, Mossaad Mohamed Ali, Executive Director
– Africans for the Horn of Africa, Stella Ndirangu, Coordinator
– Amnesty International, Agnes Callamard, Secretary General
– Association of Sudanese-American Professors in America (ASAPA), Beckry Abdel-Magid, Secretary
– Atrocities Watch, Dismas Nkunda, CEO
– Cairo Institute for Human Rights Studies, Bahey El Din Hassan, Director
– Carter Center, Paige Alexander, CEO
– Center for Peace Building and Democracy in Liberia (CEPEBUD-Liberia), Florence N. Flomo, Executive Director
– Committee to Protect Journalists, Jodie Ginsberg, President
– Consortium on Gender, Security and Human Rights, Carol Cohn, Director
– Darfur Diaspora Association Group in the United Kingdom, Abdallah Idriss, Director
– Darfur Women Action Group, Niemat Ahmadi, Founder and President
– DefendDefenders, Hassan Shire, Executive Director
– EG Justice, Tutu Alicante, Executive Director
– Freedom House, Michael J. Abramowitz, President
– Genocide Alert, Gregor Hoffman, Chairman
– George W. Bush Institute, David Kramer, Executive Director
– Global Centre for the Responsibility to Protect, Savita Pawnday, Executive Director
– Global Survivors Fund, Dennis Mukwege, President
– GOAL, Siobhán Walsh, CEO
– HIAS, Mark Hetfield, President & CEO
– HUDO Centre, Bushra Gamar, Executive Director
– Human Rights Watch, Tirana Hassan, Executive Director
– iACT, Sara-Christine Dallain, Executive Director
– Institute for Genocide and Mass Atrocity Prevention at Binghamton University, Kerry Whigham, Co-Director
– InterAction, Anne Lynam Goddard, Interim President and CEO
– International Federation for Human Rights (FIDH), Eleonore Morel, CEO
– International Rescue Committee, David Miliband, President & CEO
– Jacob Blaustein Institute for the Advancement of Human Rights, Felice Gaer, Director
– Legal Action Worldwide, Antonia Mulvey, Founder and Executive Director
– MADRE, Yifat Susskind, Executive Director
– Mercy Corps, Tjada D’Oyen McKenna, Chief Executive Officer
– Montreal Institute for Genocide and Human Rights Studies at Concordia University, Kyle Matthews, Executive Director
– Never Again Coalition, Lauren Fortgang, Director
– No Business with Genocide, Simon Billenness, Director
– Nobel Women’s Initiative, Maria Butler, Executive Director
– Nonviolent Peaceforce, Tiffany Easthom, Executive Director
– Norwegian Refugee Council, Jan Egeland, Secretary General
– Open Society Foundations, Mark Malloch-Brown, President
– OutRight International, Maria Sjödin, Executive Director
– Physicians for Human Rights, Saman Zia-Zarifi, Executive Director
– Plan International, Stephen Omollo, CEO
– Project Expedite Justice, Cynthia Tai, Executive Director
– Public International Law & Policy Group, Paul R. Williams, President
– Refugees International, Jeremy Konyndyk, President
– Regional Centre for Training and Development of Civil Society, Mutaal Girshab, Director General
– Society for Threatened Peoples, Roman Kühn, Director
– Sudan Transparency and Policy Tracker, Suliman Baldo, Executive Director
– Sudanese American Public Affairs Association, Fareed Zein, Board Chairman
– The Sentry, John Prendergast, Co-Founder
– Torture Abolition and Survivors Support Coalition (TASSC), Aymen Tabir, Executive Director
– US-Educated Sudanese Association (USESA), Samah Salman, President
– Vital Voices, Alyse Nelson, President & CEO
– World Federalist Movement Canada, Alexandre MacIsaac, Executive Director
– World Federalist Movement/Institute for Global Policy (WFM/IGP), Amy Oloo, Consulting Executive Director