Bozen, Göttingen, 15. Januar 2020
Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) betrachtet die neuen Regeln des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) zu politischen Meinungsäußerungen bei Olympischen Spielen als weltfremd und entmündigend. „Spätestens bei den Olympischen Winterspielen in Peking im Februar 2022 droht dem IOC ein Super-GAU. Diese Olympiade findet in einem Land statt, das Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord an seiner eigenen Bevölkerung begeht“, erklärte GfbV-Direktor Ulrich Delius am Mittwoch in Göttingen. In China würden uigurische und kasachische Sporttreibende alleine aufgrund ihres Glaubens und ihrer ethnischen Abstammung zwangsweise in Umerziehungslager eingewiesen. „Das ist eine grobe Verletzung des olympischen Geistes. Kritik daran auch noch systematisch zu unterdrücken ist undemokratisch und nicht zeitgemäß“, so Delius.
Das IOC hatte letzte Woche neue einschränkende Leitlinien zur politischen Meinungsäußerung bei Olympiaden veröffentlicht. Die neuen Richtlinien verbieten ausdrücklich Proteste oder politische Gesten bei Medaillenzeremonien oder während der Eröffnungs- oder Schlussfeier. „Das IOC scheint diese oft mutigen Gesten nur als Problem aufzufassen, und nicht als Chance, den olympischen Geist zu erneuern und die in Verruf gekommenen Olympischen Spiele in der Bevölkerung wieder beliebter zu machen“, bedauert Delius.
Die GfbV erinnert an den Fall des Marathonläufers Feyisa Lilesa aus Äthiopien, der mit überkreuzten Armen beim Zieleinlauf bei den Olympischen Sommerspielen in Rio de Janeiro 2016 auf die Unterdrückung der Oromo-Bevölkerungsgruppe in seiner Heimat aufmerksam machte. Der vielbeachtete Protest führte dazu, dass der Sportler aus Lebensgefahr jahrelang nicht in seine Heimat zurückkehren konnte. Doch in Äthiopien wurde er mit seiner Geste zum Volkshelden und Symbol des friedlichen Widerstands gegen Unterdrückung. Seine Geste gab der Demokratiebewegung einen massiven Auftrieb, der schließlich zur demokratischen Öffnung des Landes beitrug. Nachdem Lilesa im Oktober 2018 nach Äthiopien zurückkehren konnte, wurde er wegen seiner Verdienste für die Demokratisierung des Landes im April 2019 von der neuen äthiopischen Staatsführung ausgezeichnet.