Am Rande des Nato-Gipfels, der in der kommenden Woche in Brüssel stattfindet, wird US-Präsident Joseph Biden mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zusammentreffen. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat an das Weiße Haus appelliert, sich für ein Ende der türkischen Gewalt gegen die kurdische Volksgruppe sowie gegen christliche, alevitische und weitere Minderheiten einzusetzen. Die türkische Armee und mit ihr verbündete islamistische Milizen haben bereits hunderttausende Menschen gewaltsam aus ihrer Heimat in Nordsyrien vertrieben. Die türkische Luftwaffe bombardiert regelmäßig kurdische Siedlungen auch im Irak.
„Die türkischen Angriffe auf ethnische und religiöse Minderheiten in Syrien und dem Irak finden sowohl unter den Augen des russischen, wie auch des US-amerikanischen Militärs statt“, kritisiert GfbV-Nahostexperte Dr. Kamal Sido. „Die stillschweigende Unterstützung einer Militärkampagne gegen eine ethnische Volksgruppe durch Russland und die USA gleichzeitig ist unseres Wissens einzigartig.“
Präsident Biden müsse nun dringend auf den türkischen Präsidenten einwirken, damit dieser die Gewalt beende. „Die Veränderung der demografischen Struktur Nordsyriens, die Erdogan anstrebt, ist nun fast vollzogen. In den ehemals multi-ethnischen und multi-religiösen Gebieten leben fast nur noch die sunnitischen Araber, die Erdogan dort angesiedelt hat“, so Sido. „Das ist ein massiver Verstoß gegen das Völkerrecht und ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die westliche Welt und allen voran die USA dürfen das nicht akzeptieren.“ Stattdessen müssten sie darauf drängen, dass die Türkei die Rückführung der kurdischen, yezidischen, christlichen und alevitischen Vertriebenen unter internationaler ziviler Beobachtung erlaubt.
Nach Quellen der GfbV und Schätzungen von anderen Fachleuten sind infolge des Bürgerkrieges, der IS-Angriffe sowie der türkischen Militärinvasionen etwa 1,5 Millionen Kurden und Angehörige der yezidischen und christlichen Religionsgemeinschaften auf der Flucht: Aus Afrin, im Nordwesten Syriens, wurden etwa 350.000 Personen vertrieben, aus Ras Al Ain und Umgebung etwa 300.000 und aus anderen Gebieten Syriens 350.000. Viele von ihnen mussten schon in den ersten Kriegsjahren innerhalb Syriens oder in Nachbarländer fliehen.