Auch vier Jahre nach Beginn der völkerrechtswidrigen Invasion der Türkei in die nordsyrische Region Afrin ist die einheimische Bevölkerung täglich schweren Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt, wie die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) berichtet. Ab dem 20. Januar 2018 hatten die türkische Armee und mit ihr verbündete islamistische Milizen die ursprünglich kurdisch dominierte Region angegriffen und damit begonnen, die nicht-arabische und nicht-sunnitische Bevölkerung zu vertreiben. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte in Großbritannien und Quellen der GfbV vor Ort berichten übereinstimmend, dass 2021 mindestens 129 Menschen getötet und 726 entführt wurden. Die türkische Besatzungsmacht und ihre islamistischen Söldner sollen für diese Verbrechen verantwortlich sein.
„Das türkische Militär hat Afrin in eine Hölle verwandelt. Es kommt nahezu jeden Tag zu Gewalt zwischen rivalisierenden pro-türkischen Milizen. Sie kämpfen in der Regel um die Kontrolle über die Ortschaften der Region. Denn wer die Kontrolle hat, kann die einheimische kurdische Bevölkerung ausrauben und Menschen entführen, um Lösegeld zu erpressen“, erklärt Dr. Kamal Sido, Nahostexperte der GfbV.
Der Angriffskrieg des NATO-Mitglieds Türkei unter der Bezeichnung „Operation Olivenzweig“ begann, nachdem Russland den Luftraum für Angriffe der türkischen Luftwaffe öffnete. Bei der Besetzung der Region kamen auch Waffen aus deutscher Produktion zum Einsatz. Noch kurz vor Beginn der Angriffe lud der damalige deutsche Außenminister Sigmar Gabriel seinen türkischen Amtskollegen in sein Privathaus in Goslar ein. Bei diesem Treffen soll es auch um die Aufrüstung der deutschen Leopard-2-Panzer gegangen sein. In Afrin kamen diese Panzer verstärkt zum Einsatz. „Darum steht die neue deutsche Bundesregierung in der Verantwortung, die Menschenrechtsverletzungen in türkisch besetzten Gebieten zu verurteilen. Die Türkei muss zudem freien Zugang zum Kriegsgebiet für Hilfsorganisationen, internationale Beobachter und die Presse gewährleisten. Ihre Armee und ihre Söldner müssen Afrin verlassen“, so Sido.
Aufgrund der türkischen Invasion mussten etwa 300.000 Menschen aus der Region Afrin fliehen. Viele leben immer noch in Zelten im Norden von Aleppo. In den von geflüchteten Kurden zurückgelassenen Häusern siedelte die türkische Regierung gezielt sunnitische Muslime an, Anhänger des türkischen Präsidenten. Die kurdische Identität der Region soll für immer zerstört werden. Um dieses Ziel zu erreichen, hat das türkische Militär alle kurdischen Schulen und die erste kurdische Universität Syriens geschlossen. Zehntausende kurdische Bücher wurden vernichtet.
Am kommenden Donnerstag, den 20. Januar, wird die GfbV in Berlin vor der russischen und der US-amerikanischen Botschaft Mahnwachen abhalten und ein Ende der türkischen Besatzung Nordsyriens fordern.