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Türkei – 30 Jahre nach dem Massaker von Sivas (2. Juli): Täter weiter auf freiem Fuß, Diskriminierung hält an

Bozen, Göttingen, 29. Juni 2023

Flüchtlingslager in der Region Shahba, Nordaleppo, Nordsyrien. Foto: Kamal Sido / GfbV 2019.

Das Massaker an der alevitischen Bevölkerung in der türkischen Stadt Sivas (Siwas) ist auch nach mittlerweile 30 Jahren weder juristisch noch politisch aufgearbeitet. Wiederholt hatten alevitische Verbände eine unabhängige Aufklärung des Verbrechens vom 2. Juli 1993 gefordert, bei dem 37 Menschen starben. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) unterstützt die Forderungen. Doch eine Bestrafung der Täter und ein Ende der anhaltenden Unterdrückung der alevitischen Religionsgemeinschaft sei nicht in Sicht: „Abgesehen von Schauprozessen gegen Einzelne ist nichts passiert, die meisten Täter sind auf freiem Fuß. Die Hintermänner der Anschläge, wie der heutige türkische Machthaber Erdogan, auf deren Hetze die Verbrechen zurückgehen, haben sich nie entschuldigt und nichts daraus gelernt“, berichtete GfbV-Nahostexperte Dr. Kamal Sido anlässlich des 30. Jahrestages des Massakers am kommenden Sonntag. „Im Gegenteil: Während des letzten Wahlkampfes haben Erdogan und seine Anhänger in vielfältiger Form massiv gegen die alevitische Minderheit gehetzt, der auch Erdogans Gegenkandidat angehörte.“

Wären die Verbrechen von Sivas politisch aufgearbeitet worden, hätte es im Wahlkampf weniger Hetze gegen Aleviten gegeben, ist Sido überzeugt: „Es ist unerträglich, dass Menschen in der Türkei immer noch Angst haben, sich zu ihrer ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit zu bekennen und offen darüber zu sprechen. Eine alevitische, kurdische, armenische, yezidische, christliche oder jüdische Herkunft ist kein Verbrechen. Ein Verbrechen ist es, jemanden wegen seiner Abstammung, seiner Sprache, seines Glaubens oder seiner politischen Überzeugung zu benachteiligen oder zu verfolgen.“ Diesen Grundsatz müsse auch die Türkei respektieren. Gleichberechtigung in der Türkei müsse es sowohl in der Verfassung als auch im Alltag geben.

Die GfbV begrüßt die Bemühungen der prokurdischen Partei HDP, das friedliche Zusammenleben der alevitischen, sunnitischen, kurdischen, türkischen und armenischen Bevölkerung in der Türkei, in Deutschland und Europa zu stärken. Deutsche Städte und Gemeinde sollten die alevitische Minderheit bei der Aufarbeitung der Sivas-Verbrechen auch durch eine Erinnerungskultur unterstützen. Ein friedliches Zusammenleben kann es nur geben, wenn alle Menschen aller Volksgruppen ihre Identität, Sprache und Kultur ausleben und selbstbestimmt politisch handeln können.

Am 2. Juli 1993 starben 37 Menschen im Hotel Madimak im zentralanatolischen Sivas, das ein aufgebrachter islamistischen Mob in Brand gesteckt hatte. 35 der Opfer waren alevitischer Herkunft, zwei waren Angestellte des Hotels. Viele der Täter sind bis heute auf freiem Fuß, neun von ihnen sollen inzwischen in Deutschland leben, einige die deutsche Staatsbürgerschaft haben. In Deutschland leben etwa eine Million Angehörige der alevitischen Minderheit, in der Türkei etwa 20 Millionen. Dort werden sie seit Jahrzehnten verfolgt und diskriminiert. Es gab immer wieder Pogrome. So starben 1938 etwa 70.000 von ihnen in der Region Dersim durch genozidale Verbrechen des türkischen Staates. Sunnitische Muslime betrachten sie oft als Häretiker.