Bozen, Göttingen, 20. Juli 2023
Seit fast acht Monaten blockiert Aserbaidschan den Latschin-Korridor und damit die einzige Landverbindung nach Arzach (Berg-Karabach). Die Blockade betrifft etwa 120.000 Menschen, darunter 30.000 Kinder. „Sie können ihre Heimat nicht verlassen und sind von der Zufuhr von Lebensmitteln, Medikamenten, Gas und Strom abgeschnitten“, berichtet Tessa Hofmann, Armenienkoordinatorin der Gesellschaft für bedrohte Völker. „Inzwischen blockiert das Alijew-Regime auch humanitäre Hilfe und den Krankentransport durch das Internationale Rote Kreuz. Am 22. Juni hat das aserbaidschanische Militär als weitere Provokation am Anfang des Latschin-Korridors riesige Betonblöcke installiert.“
Zwei Kinder starben Anfang Juli in einer schrecklichen Tragödie wegen der Blockade des Korridors: Die Mutter des dreijährigen Leo und der sechsjährigen Gita, die im Dorf Aghabekalanj in der Region Martakert in Arzach lebt, ging zu Fuß in die fünf Kilometer entfernte Kreisstadt Stadt Martakert. Sie wollte rationiertes Speiseöl und Zucker kaufen, weil die Familie nichts mehr zu essen hatte. Die Kinder warteten nicht auf die Rückkehr ihrer Mutter, sondern gingen ihrerseits nach Martakert und starben bei einem tragischen Unfall.
Internationale und nationale Menschenrechtsorganisationen sowie Genozid-Forschende warnen schon seit 2022, dass der armenischen Bevölkerung von Arzach ein „imminenter Genozid“ drohe. Die Appelle der Arzacher Bevölkerung und ihrer Regierung verhallten aber bisher ebenso wirkungslos wie die von Menschenrechtsorganisationen.
Die GfbV appelliert daher erneut an den Bundeskanzler sowie die Außenministerin:
– Aserbaidschan muss mit Sanktionen belegt werden, bis es die Anordnung des Internationalen Gerichtshofs erfüllt und den Latschiner Korridor räumt und freigibt.
– Bei der armenisch-aserbaidschanischen Friedensregelung ist das Selbstbestimmungsrecht der Arzacher Armenier zu berücksichtigen.
– Deutschland muss aktiv werden, auch, weil es eine historische Verantwortung aufgrund des osmanischen Genozids an den Armeniern gibt.
Die Region Arzach wurde 1921 gegen den Willen ihrer zu 94 Prozent armenischen Bevölkerung Sowjet-Aserbaidschan unterstellt. Sie kämpfte sich beim Zerfall der UdSSR von der aserbaidschanischen Vorherrschaft frei, verlor aber im Herbst 2020 bei einem erneuten Militärangriff Aserbaidschans ein Drittel ihres bisherigen Bestandes. Die Republik Armenien hat es in den rund 30 Jahren faktischer Unabhängigkeit der Region nicht gewagt, die „Republik Arzach“ anzuerkennen, geschweige denn zu integrieren. Im Mai 2023 hat der Regierungschef der Republik Armenien im Rahmen von Friedensverhandlungen gegen den Protest der Arzacher Regierung den Territorialbestand Aserbaidschans inklusive Arzachs anerkannt.