Thomas Ducks
Der Kakadu-Nationalpark und das östlich angrenzende Arnhemland im Norden Australiens beeindrucken durch grandiose Landschafen. Wer auf den Fels Ubirr steigt und seine Augen über ausgedehnte Feuchtgebiete schweifen lässt, versteht, warum die Ureinwohner keine Kirchen bauten – weil manche Orte selbst „Kirchen“ sind. Felsmalereien am Berg zeugen von mehreren zehntausend Jahren der Besiedlung durch die Stämme der Bininj oder Mungguy. Auch die weißen Neuankömmlinge wurden hier bildlich festgehalten: Pfeife rauchend und mit den Händen in den Hosentaschen kopierten die Ureinwohner ihr Abbild.
Die Herren aus Europa ließen gern andere – in diesem Fall die Aborigines – für sich arbeiten. Damit einher ging für sie die erzwungene Anpassung an die Kultur der Weißen. Dies beraubte viele Ureinwohner nicht nur ihrer kulturellen Identität, sondern auch ihrer traditionellen, zum Überleben im Busch notwendigen Fertigkeiten. Doch auch ihre Assimilierung schützte sie nicht vor dem Rassismus der Weißen. Stets wurden den Aborigines ihre Herkunft und ihre vermeintliche Kulturlosigkeit vorgehalten. Willkommen waren sie nur als billige Arbeitskräfte.
Unzählige Aborigines können von Verwandten berichten, die an ihrer kulturellen Entwurzelung zerbrachen. Der Staat tat ein Übriges: Zehntausenden Familien wurden noch bis in die frühen 1970er Jahre die Kinder entzogen, um sie ihrer eigenen Kultur zu ent- fremden. Als „Gestohlene Generation“ werden diese Menschen in Australien bezeichnet. Obwohl dies für weite Teile der australischen Öffentlichkeit schon lange überfällig war, rang sich erst die 2008 gewählte Labour-Regierung dazu durch, sich offiziell für die Verbrechen an den Aborigines zu entschuldigen. Auch sonst stehen die Dinge nicht zum Besten: In Bezug auf Gesundheit, Kindersterblichkeit, Beschäftigung, Bildung und Wohnen geht es den rund 450.0000 Aborigines deutlich schlechter als dem Rest der Bevölkerung. Während die Lebenserwartung eines weißen Australiers bei 79,7 Jahren liegt, beträgt sie für einen Ureinwohner nur 62,1 Jahre. Der derzeitige Premierminister Kevin Rudd kündigte an, innerhalb einer Dekade die Kluft zwischen Schwarz und Weiß halbieren zu wollen.
Erst seit dem 1992er „Mabo-Urteil“ des obersten australischen Gerichts sind die Landrechte der Aborigines zumindest prinzipiell anerkannt. Die- se geltend zu machen, ist ein schwieriges Unterfangen, da sie, die sich nicht als Herren sondern als Teil des Landes verstehen, keine Dinge wie schriftliche Rechtstitel haben. Den Ureinwohnern ist das Land heilig und nach wie vor ein wesentlicher Teil ihres Lebens. Die Einrichtung von Nationalparks kommt ihren Werten daher entgegen. Viele Aborigine-Gruppen im Nor- den haben das ihnen zurückgegebene Land an den Staat verpachtet und verwalten es nun gemeinsam mit den Mitarbeitern der „Nature Conservation Agency“. Immer mehr Aborigines lassen sich zu Rangern ausbilden. Es geht ihnen darum, die Hoheit über ihr Stammesland zu behalten, das Basis ihrer kulturellen Selbstbestimmung ist. Ein wichtiger Baustein dafür ist für viele Aborigines naturnaher Tourismus. Die eigene Kultur mit Fremden zu teilen, kann eine gute ökonomische Basis für zukünftige Generationen sein.
Jobs und Einkommen für Aborigines – noch dazu in Schlüsselpositionen – hat es bis vor kurzem kaum gegeben. Entscheidend für den Wandel waren der mittlerweile hohe Organisations- grad und die Erfahrungen und Fähigkeiten, die die Aborigines im langen Kampf um ihre Landrechte erworben haben. Die Ureinwohner-Vereinigungen ermutigen ihre Mitglieder nun deshalb, verstärkt Verantwortung zu übernehmen – auch, um ein Zeichen gegen die in den Outback-Zentren unübersehbaren Probleme mit Alkohol und Arbeitslosigkeit zu setzen.
Doch obwohl die Region im Norden Australiens eine enorme Anziehungskraft auf Touristen ausübt, haben die meisten Ureinwohner kein Interesse daran, ihre Traditionen als Vergnügungs-Kitsch á la Disneyland zu vermarkten. Ihnen geht es darum, aufgeschlossene Menschen an ihre einzigartige Denk- und Lebensweise heranzuführen. Gäbe es diese nicht, würde die grandiose Landschaf wohl kaum noch in ihrer heutigen Form existieren. Das Wunder des australischen Nordens besteht darin, dass die Natur trotz der Nutzung durch den Menschen erhalten geblieben ist. Diese Erfolgsgeschichte wollen die Ureinwohner interessierten Menschen vermitteln. Sie hoffen auch, ihre Kultur so vor möglichen neuen Zugriffen des Staates zu schützen.
Im Zentrum ihrer Kultur steht die tief im Seelenleben und kollektiven Gedächtnis der Ureinwohner verankerte Schöpfungsgeschichte, die so genannte „Traumzeit“. Dieser Schöpfungsgeschichte nach schufen in dieser Zeit Wesen mit besonderen Kräften die Welt – samt Menschen, Tieren und Pflanzen. Sie gaben jedem einen Platz zum Leben, bevor sie selbst beseelte Bestandteile der Landschaf wurden. Die Traumzeitwesen schufen überdies Regeln: verschiedene Sprachen, Verwandtschafssysteme, Heiratsgebote und Verhaltensregeln. Diesen „Gesetzen“ fühlen sich die Ureinwohner auch heute noch verpflichtet.
„Unser traditioneller Lebensstil mag sich geändert haben“, sagen die Jawoyn, „aber unsere Verpflichtungen und unsere Beziehung zum Land bleiben dieselben.“ Auch wenn sie in- zwischen Geländewagen fahren und Mobiltelefone benutzen, wollen die Aborigines immer noch selber ent- scheiden, was es heißt, ein Ureinwohner im 21. Jahrhundert zu sein. Vor nicht einmal zwei Jahrzehnten konnten sich nur wenige in Australien vorstellen, dass ihre kulturellen Traditionen zur Touristenattraktion werden würden. Mittlerweile operieren landesweit gut 300 Ureinwohner-Unternehmen auf diesem Gebiet. Was einmal als Tanzfolklore begann, ist heute weitaus vielschichtiger und tiefgründiger.
Mit neuem Selbstbewusstsein und Stolz auf die eigenen Wurzeln kam auch die Idee auf, Besuchern mehr „authentische Erfahrungen“ zu bieten. Dazu möchte die seit 20 Jahren im Tourismusgeschäfttätige Unternehmerin Mandy Muir auch andere Aborigines ermutigen, für die die Assimilationspolitik des Staates häufig genug ein „Fortschritt“ ins Nichts war. Der Tourismus müsse allerdings Rücksicht nehmen auf die Kultur der Aborigines. Der Respekt gegenüber deren Erbe ist der Maßstab für alles, auch für Art und Umfang des Fremdenverkehrs. Nicht an jedem Ort sind Besucher willkommen. „Der Markt ist wichtig, er ist aber nicht alles“, zieht Muir die Grenze. Zum „Herrscher über das Land“ dürfe der Tourismus sich nicht aufschwingen.