Welcome at the website of Gesellschaft für bedrohte Völker. Your currently used browser is outdated, probably insecure, and may cause display errors on this website. Here you can download the most recent browsers: browsehappy.com

Erdöl aus Irakisch-Kurdistan. Wer verkauft hier Öl und Gas?

Von Chiman Salih

In der Autonomen Region Kurdistan im Irak liegen reiche Erdöl- und Gasreserven. Zwischenzeitlich haben die Kurden die Rohstoffe selbst gefördert und exportiert. Doch die Zentralregierung in Bagdad hat dem einen Riegel vorgeschoben. Seit Jahren eskaliert der Streit zwischen der Regionalregierung und der Zentralmacht.

An einer Tankstelle in der Stadt Sulaimaniyya wird „Kurdistan Oil“ verkauft. Das Bild entstand im Jahr 2012. Foto: Kamal Sido / GfbV

Seit 2014 streiten die irakische Zentralregierung in Bagdad und die Regionalregierung Kurdistans (KRG) um Erdöl und Finanzen. In den vergangenen zehn Jahren eskalierte der Konflikt zunehmend. Im Februar 2022 hatte das irakische Bundesgericht das „Erdöl- und Gasgesetz“ der Kurdischen Regionalregierung von 2007 für verfassungswidrig erklärt.

Dieses hatte es der KRG bis dahin erlaubt, die Rohstoffe eigenständig zu fördern und zu exportieren. Durch eine Entscheidung eines Internationalen Schiedsgerichtshofs in Paris im Jahr 2023 erhielt die Angelegenheit zusätzlich eine internationale rechtliche Dimension. Das Urteil veranlasste die KRG dazu, den Verkauf und die Vermarktung von Erdöl einzustellen.

In den Beziehungen zwischen der KRG und Bagdad sind zwei Themen von zentraler Bedeutung: Erdöl und Finanzen. Viele Fragen rund um diese Themen sind bislang ungeklärt, da die Verfassungsklausel unterschiedlich interpretiert wird und die Rechtslage durch die politischen Entwicklungen unsicher ist.

Kurdisches Erdöl: ein risikoreiches Geschäft

Die KRG hat seit ihrer zweiten Regierung in den 1990er Jahren die Ausbeutung der Erdölvorkommen in Kurdistan in Erwägung gezogen. Zu diesem Zeitpunkt war die KRG jedoch nur eine De-facto-Regierung und der Irak, damals unter Diktator Saddam Hussein, unterlag internationalen Wirtschaftssanktionen. Diese betrafen entsprechend auch die Region Kurdistan. Internationale Unternehmen zögerten daher, in Kurdistan tätig zu werden.

Das änderte sich 2003 nach dem Sturz Saddam Husseins. Auch als 2005 die neue irakische Verfassung bestätigt wurde, öffneten sich neue Handlungsmöglichkeiten. Nun bekundeten einige internationale Unternehmen ihr Interesse an Investitionen in das „kurdische Erdöl“ auf der Grundlage einiger Bestimmungen der neuen irakischen Verfassung. Doch der Bereich gilt für ausländische Unternehmen nach wie vor als risikoreich.

Laut der neuen Verfassung hat die KRG das Recht, in die Erdöl- und Gasressourcen der Region zu investieren. Bagdad war aufgrund der politischen Instabilität vor allem in der Anfangsphase kaum in die Erdölgeschäfte der KRG involviert gewesen. Doch ein wichtiger Punkt, der den Energiesektor der Region beeinflusst, ist der Mangel an juristischem und fachlichem Wissen in der KRG – während die in Kurdistan tätigen Erdölkonzerne über ein hohes Maß an Wissen, insbesondere juristischem und finanziellem, verfügen.

Dies führte dazu, dass das „kurdische Erdöl“ auf dem Markt immer billiger wurde und die KRG kaum Gewinne erzielte. Hinzu kamen interne Streitigkeiten zwischen den regierenden politischen Parteien und eine Reihe von Korruptionsfällen im Irak und in der Region Kurdistan, die den Energiesektor betreffen. Darüber existieren zahlreiche internationale Berichte. Das Geschäft rund um das Erdöl war also von Beginn an angespannt.

Ab dem Jahr 2014 kämpften der Irak und die Kurden gegen den „Islamischen Staat“ (IS). In der Folge übernahm die irakische Regierung mehrere Gebiete, die zuvor unter der Kontrolle der KRG gestanden hatten. Bagdad kürzte das Budget und die Gehälter der KRG-Beamten, was Probleme in der Region Kurdistan verschärfte. Die KRG trieb nun den Aufbau der Infrastruktur für die Erdölindustrie, insbesondere Pipelines und Raffinerien, voran.

Sie begann, Erdöl zu verkaufen. Dies führte zu einer weiteren Kürzung des Budgets der KRG durch Bagdad. 2017 hielt die Autonome Region Kurdistan ein Referendum zur Unabhängigkeit Kurdistans vom Irak ab. Bagdad reagierte heftig auf das Referendum, was zu einer weiteren Verschlechterung der Beziehungen führte. Seitdem wurden die Monatsgehälter der Beamten in Kurdistan nicht mehr regelmäßig und vollständig aus Bagdad überwiesen. Außerdem machte Kurdistan der Verfall des Erdölpreises auf dem Weltmarkt zu schaffen. Es hatte dadurch große finanzielle Einbußen.

Das Ölfeld „Baba Gurgur“ (dt. „Vater des Feuers“) bei Kirkuk ist berühmt für sein gleichnamiges „Ewiges Feuer“ in der Mitte. Foto: Kamal Sido / GfbV

Alle Macht nach Bagdad

Nach 2003 wurde eine Politik des Konsenses zwischen der KRG und Bagdad praktiziert. Doch allmählich wandelte sich diese zu einer stärker zentralisierten Regierung: Entscheidungen wurden in Bagdad getroffen, ohne Kurdistan zu konsultieren. Nach der irakischen Verfassung hätte ein neues „Erdöl- und Gasgesetz“ ausgearbeitet und verabschiedet werden müssen, das Zuständigkeiten hätte klären sollen – doch ein solches Gesetz kam nicht.

Ein „Erdöl- und Gasgesetz“ war zunächst auch eine Priorität der USA als Besatzungsmacht nach 2003 gewesen. Doch die USA verloren in den folgenden Jahren immer mehr an Einfluss auf die irakische Politik; während der Iran an Einfluss gewann. Das Gesetz wurde nicht verabschiedet. Die Spannungen zwischen der KRG und Bagdad um das Erdöl eskalierten, bis ein Internationales Schiedsgericht die Aussetzung der Erdölexporte aus Kurdistan anordnete – ein von Bagdad favorisiertes Urteil.

In Wahrheit stellt diese aber für keine der beiden Seiten eine Lösung dar. Die Nichtverabschiedung eines „Erdöl- und Gasgesetzes“ lag also nicht im Interesse Kurdistans, sondern führte dazu, dass in Bagdad wieder ein zentralistisches Rechtssystem wie zu Zeiten des Diktators Saddam Hussein die Oberhand gewann. Wäre nach dem Sturz der Diktatur 2003 und der Verabschiedung der neuen irakischen Verfassung 2005 frühzeitig ein „Erdöl- und Gasgesetz“ verabschiedet worden, hätte sich die KRG darauf berufen und das Erdöl und Gas in Kurdistan selbst fördern können. Dies hätte Kurdistan finanzielle Möglichkeiten gegeben und viele Probleme erspart. Doch das lag nicht im Interesse Bagdads.

Bagdad beruft sich bei dem Konflikt um das kurdische Erdöl auf Artikel 110 der irakischen Verfassung. Dieser besagt, dass der Verkauf von Öl „ein souveräner Akt des Staats“ ist. Das interpretiert Bagdad so, dass die KRG keine Kontrolle über ihre eigenen Erdöl- und Gasressourcen hat. Deswegen verhinderte Bagdad ein „Erdöl- und Gasgesetz“ für den Irak. Die KRG ist der Ansicht, dass sie das verfassungsmäßige Recht hat, Erdölverträge zu unterzeichnen. Nach Artikel 112 der irakischen Verfassung hat die KRG das Recht, den Energiesektor zu kontrollieren. KRG-Vertreter argumentieren, dass Bagdad einen zentralistischen Kurs verfolge, der eine Einigung erschwere. Außerdem wolle Bagdad die Dezentralisierung und die Beteiligung der Regionen und Provinzen an der Verwaltung des Energiesektors verhindern. Aktuell und wohl auch in naher Zukunft wird die KRG wohl keine andere Wahl haben, als das Erdöl an die „State Oil Marketing Organization“ (SOMO) in Bagdad zu liefern. Bagdad bestimmt dabei den Preis.

Dr. Abdul Hakim Khasrow, Leiter der Koordinations- und Follow-up-Abteilung der KRG und Mitglied der Verhandlungsdelegation, erklärte: „Wir haben jetzt ein Haushaltsgesetz. Die Kosten für das Erdöl müssen geschätzt und nicht auferlegt werden, wie es die Zentralregierung in Bagdad will. Die Frage der Erdölkosten muss geklärt und eine Einigung darüber erzielt werden“.

Offene Fragen

Die Kosten der Erdölförderung in Kurdistan sind umstritten, da die geologischen Bedingungen und Bodenschichten härter und felsiger sind als in anderen irakischen Provinzen, wie zum Beispiel in Basra. Daher sind die Kosten für die Erdölförderung in Kurdistan höher als anderswo. Die internationalen Erdölkonzerne, die in der Region Kurdistan tätig sind, sind deswegen mit den von der irakischen Regierung festgelegten Kosten unzufrieden. Bagdad beharrt jedoch bislang darauf, die Preise ähnlich wie in anderen irakischen Provinzen zu bestimmen. Es gibt noch weitere strittige Fragen, die Diskussionen bedürfen. Darunter ist die Pipeline-Infrastruktur, die die KRG eigenständig für sich gebaut hat. Die Pipeline, die vom Erdölfeld Taqtaq in Kurdistan zum Hafen Ceyhan in der Türkei führt, wurde zum Beispiel von der KRG auf eigene Kosten gebaut und steht unter dem Sicherheitsschutz der Region. Die irakische Regierung will sie nun nutzen, um Erdöl aus anderen irakischen Provinzen in die Welt zu exportieren.

Dafür bietet sie der KRG jedoch keine Gegenleistung, keine Rechte oder Entschädigungen an. Zudem gibt es eine Reihe von Erdölfeldern, die in den administrativ zwischen Bagdad und der KRG umstrittenen Gebieten wie Kirkuk liegen. Diese Gebiete standen bisher unter dem Schutz und der Autorität der KRG. Die Unternehmen der KRG haben in diese Erdölfelder investiert und eine Infrastruktur aufgebaut. Über deren zukünftige Nutzung müssen die beiden Parteien verhandeln.

Nach 19 Jahren Verzögerung will die irakische Regierung nun ein „Erdölund Gasgesetz“ verabschieden. Im Gegensatz zu 2005, nach dem Sturz der Diktatur, scheint sich die Zentralmacht nun stark genug zu fühlen, mit Kurdistan über dieses Gesetz zu verhandeln und es zu ihren Gunsten zu verabschieden. Die Position der KRG ist heute deutlich schwächer als damals. Was die Position der KRG jedoch stärken könnte, ist die Tatsache, dass der Energiesektor der Region Kurdistan für regionale und internationale Mächte von großer Bedeutung ist. Die USA und Europa sowie einige regionale Mächte wollen die Region Kurdistan nicht von der Landkarte der Energiesicherheit ausschließen – vor allem, da sich die Welt den Erdgasressourcen zuwendet und die Region Kurdistan über bedeutende Reserven verfügt.

[Die Autorin]
Chiman Salih ist Autorin von sieben Büchern und veröffentlicht in lokalen und internationalen Medien. Sie ist Übersetzerin und schreibt über kurdische Kultur, Geschichte, Politik und Gesellschaft sowie über internationales Recht. Als Mitarbeiterin der Kurdischen Regionalregierung verfügt sie über gute Kenntnisse und Hintergrundinformationen nicht nur zu Kurdistan, sondern zum gesamten Irak.

[Info]
Übersetzt aus dem Sorani-Kurdischen von Dr. Kamal Sido. Die Redaktion hat einige Passagen gekürzt und sprachlich angepasst.