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Inhaftiert in Chile – Vasili Carrillo Nova: Durchhalten im Kampf gegen die Diktatur

Interview von Jan Königshausen

Eine Fotowand erinnert im „Museum der Erinnerung und Menschenrechte“ in Santiago de Chile an die Opfer der chilenischen Diktatur von 1973 bis 1990. Foto: Carlos Teixidor Cadenas/Wikipedia BY-SA 4.0

Vasili Carrillo Nova wurde in Chile unter Diktator Augusto Pinochet zweimal verhaftet und gefoltert. Mut und Stärke schöpfte er aus dem Vorbild seiner Eltern, aus der internationalen Solidarität und aus der Überzeugung, dass sich der Einsatz für ein Ende der Diktatur lohnt. Im Interview wirft er dem heutigen Chile mangelnde Aufarbeitung vor.

Sie wurden während der Pinochet-Diktatur (1973 bis 1990) in Chile zweimal verhaftet. Was waren die Hintergründe dafür?
Das erste Mal wurde ich am 17. September 1973 verhaftet. Da war ich 16 Jahre alt. Mein Vater war damals eine der wichtigsten politischen und sozialen Personen in unserer Stadt Lota. Er wurde zu der Zeit schon gesucht. Davor, am 13. September, hatten sie bereits meinen zwei Jahre älteren Bruder Fedor verhaftet. Den behielten sie letztendlich für fast zwei Jahre im Gefängnis, bis sie ihn nach Panama auswiesen. Ich wurde damals fünf Tage an verschiedenen Orten festgehalten. Ziel war es, herauszufinden, wo mein Vater war. Ich wurde gefoltert. Meine größte Sorge war, seinen Standort preiszugeben – denn ich wusste tatsächlich, wo er war. Am Ende habe ich all‘ die Folter ausgehalten, eben weil er mein Vater war. Aber wenn sie mich in diesem Alter, mit 16, nach jemand anderem gefragt hätten, hätte ich den Qualen wahrscheinlich nicht standgehalten.
In der Folge ging ich ins Exil und kam mit 17 Jahren in die Deutsche Demokratische Republik (DDR). Dort verbrachte ich fast eineinhalb Jahre, bevor ich weiter nach Kuba reiste. Dort wurde ich als politisch-militärischer Kader in der damaligen Kommunistischen Partei ausgebildet, um nach Chile zurückzukehren und gegen die Diktatur zu kämpfen. In diesem Zug landete ich 1979, als ich 22 Jahre alt war, in Nicaragua und trat der Guerilla bei.
1985 kehrte ich heimlich nach Chile zurück und schloss mich der Patriotischen Front Manuel Rodríguez (FPMR) an. Bei dieser war ich in verschiedenen Funktionen tätig, bis ich 1986 zum zweiten Mal verhaftet wurde. Dieses Mal wurde mir vorgeworfen, ich hätte etwas mit dem Anschlag auf Pinochet zu tun. Im Gefängnis, in dem ich fünf Jahre verbracht habe, erlebte ich das, was alle politischen Gefangenen durchgemacht haben: Ich verbrachte mehr als einen Monat in Isolationshaft und wurde gefoltert.

Wie sah ein typischer Tag dort im Gefängnis aus?
Zu Beginn, als ich in Isolationshaft war, hatte ich keinen Zugang zu irgendetwas. Ich war 24 Stunden am Tag in einer Zelle eingesperrt – im Dunkeln. So musste ich einen Weg während dieser circa 35 Tage finden, meine mentale Gesundheit zu bewahren. Da gibt es viele Dinge, die man tut, denkt, träumt. Ich habe zum Beispiel Spiele erfunden, um sich zu beschäftigen.
Danach habe ich mit gewöhnlichen Häftlingen zusammengelebt. Wir politischen Gefangenen waren in der Minderheit. Die tägliche Routine sah so aus, dass man morgens früh aufstand, frühstückte, sich reinigte und die häuslichen Pflichten wie Mittagessen kochen oder seine Zelle aufräumen erfüllte. Im besten Fall konnte man rausgehen und Baseball spielen oder Besuche empfangen. Dabei bekamen wir nicht nur von unseren Anwälten und Familien, sondern sogar von internationalen Organisationen Besuch.
Wir schafften es, uns als politische Gefangene zu organisieren. Dabei konnten wir von den Erfahrungen der bereits länger inhaftierten politischen Insassen profitieren. Schließlich wurde ich aus dem Gefängnis heraus offizieller Sprecher der Patriotischen Front Manuel Rodríguez und auch Sprecher der politischen Gefangenen.
Alle diese Privilegien haben wir jedoch erst durch harte Kämpfe innerhalb des Gefängnisses erreicht. Unsere Druckmittel waren im Wesentlichen Hungerstreiks, die wochenlang dauern konnten. Dabei kämpften wir für verbesserte Haftbedingungen und Besuchsrecht. Schließlich bestand unser Alltag in der kleinen Gruppe neben Sport, Bildung und politischen Diskussionen vor allem aus der Frage, wie wir am besten mit der Außenwelt in Kontakt treten können. Denn in meiner Funktion bei der FPMR versuchte ich, aus der Haft heraus mit Studentenorganisationen, Jugendorganisationen oder Gewerkschaften zusammenzuarbeiten.

Wie sah Ihre Zelle aus?
Sie war etwa drei mal drei Meter groß mit einem zweiten, sehr niedrigen Stockwerk aus Holz. Dort habe ich geschlafen. Wenn ich die Zelle mit jemandem teilen musste, schlief dieser unten. Dort hatten wir normalerweise eine Kochnische und einen Tisch, an dem wir frühstücken oder handwerkliche Arbeiten verrichten konnten. Ich habe vergessen zu erwähnen, dass zu unseren täglichen Aktivitäten auch die Herstellung von Kunsthandwerk gehörte. Dieses haben wir über Angehörige, aber auch über die Kirche vertrieben, um ein wenig Geld zu verdienen. Mit diesem haben wir uns richtiges Essen gekauft, denn das reguläre Gefängnisessen war sehr schlecht – es war schrecklich.

Wann und wie hat Ihre Familie von Ihrer zweiten Inhaftierung erfahren und wie hat sie reagiert?
Ich war zu der Zeit in Chile untergetaucht. Ich bin als ecuadorianischer Tourist mit einem gefälschten ecuadorianischen Pass heimlich nach Chile eingereist. Meine Familie wusste nichts von meiner Rückkehr oder wo ich war. Meine Mutter war damals noch in der Ukraine im Exil. Aber meine Familie hat über das Radio von meiner Inhaftierung erfahren. Es gab eine Sendung von Radio Moskau mit dem Titel „Escucha Chile“ (dt.: Höre Chile), die täglich abends gesendet wurde. Viele Chilenen, die vor der Diktatur geflohen waren, hörten diese Sendung. Als meiner Mutter die Nachricht meiner Inhaftierung zugetragen wurde, entschied sie, umgehend nach Chile zurückzukehren.
Lassen Sie mich eine Anekdote erzählen: Als sie mich folterten, hing ich nackt und mit verbundenen Augen von der Decke, während ich mit Hieben und Stromschlägen traktiert wurde. Dabei drohten sie mir, mich zu töten und sagten mir: „Niemand wird es erfahren, denn nicht einmal deine Familie weiß, dass du im Gefängnis bist.“ Ich antwortete ihnen: „Macht euch keine Illusionen, meine Mutter hat es sicherlich bereits erfahren. Und wahrscheinlich ist sie auf dem Weg nach Chile, um mich hier rauszuholen. Macht mit mir, was ihr wollt, aber meine Mutter wird es wissen.“ Und so war es auch. Meine Mutter war bereits in den ersten Wochen meiner Haft zurück in Chile.

Bei so viel Ungerechtigkeit, die Sie in diesem System erlitten haben: Was hat Ihnen Mut gemacht?
Das hat in erster Linie mit politischen und ideologischen Überzeugungen zu tun. Ich habe die Entscheidung getroffen, aus dem Exil zurückzukehren, um im Kampf gegen die Diktatur in Chile mitzuwirken. Ich bin in den Untergrund gegangen, wo es drei Möglichkeiten gibt: Erstens, man versteckt sich und bleibt erfolgreich am Leben. Zweitens, man wird umgebracht. Drittens, man wird verhaftet und gefoltert. Ich wusste, warum ich zurück nach Chile gekommen war und worauf ich mich eingelassen hatte.
Meine zweite Stütze war zweifellos das Beispiel meiner Eltern. Mein Vater war verhaftet und über einen Monat lang gefoltert worden, bevor er vor ein Kriegsgericht gestellt und am Ende exekutiert wurde [zu Beginn der Diktatur, nach dem erfolgreichen Staatsstreich, wurden Kriegsgerichte installiert, die Andersdenkende haben hinrichten lassen; Anm. d. Red.]. Er war 46 Jahre alt und Vater von 12 Kindern. Sie haben ihm angeboten, im Austausch für ein friedliches Leben mit seinen Kindern seine Ideale zu verraten, seine Partei zu verraten. Doch mein Vater stand zu seinen Werten und ließ sich hinrichten. Meine Mutter wurde so im Alter von 37 Jahren mit zwölf Kindern Witwe. Ihr ältester Sohn war inhaftiert, ich war alleine im Exil – und später war sie gezwungen, selber ins Exil zu gehen, um zu verhindern, dass ihr die übrigen Kinder genommen würden. Sie ging in die Ukraine in der damaligen Sowjetunion; in ein fremdes Land mit anderen Sitten, mit anderen Sprachen. Über meinen Vater wird immer viel geredet, weil er eine bekannte Person war und weil er ermordet wurde. Aber neben ihm stand eine großartige Frau, eine Heldin, die es geschafft hat, ihre Kinder unter diesen Bedingungen großzuziehen. Das gibt einem auch in schwierigen Momenten wie Folter oder Gefängnis die nötige Stärke. Sie wurde zu einem Vorbild für mich.
Und die dritte Sache, die mich im Gefängnis und während der Folter durchhalten ließ, hat damit zu tun, dass es Brüder und Schwestern, Genossen gab, die getötet wurden, die im Kampf gegen die Diktatur starben oder von Handlangern der Diktatur feige ermordet wurden. Das führt dazu, dass man die Folter, die Isolationshaft und die Jahre im Gefängnis mit Mut und Kraft erträgt. Hinzu kam die Unterstützung durch Solidarität der sozialen Organisationen, der Männer und Frauen, die damals zum Gefängnis gingen, um für unsere Freiheit zu demonstrieren, um für die Menschenrechte in Chile zu demonstrieren. Das geschah auch außerhalb des Landes. Wir erhielten Solidarität aus vielen Teilen der Welt, nicht nur von Chilenen.

Lassen Sie uns in der Zeit springen. Heute ist Chile eine Demokratie. Haben Sie jemals eine Entschuldigung oder Entschädigung von der chilenischen Regierung für Ihre Zeit im Gefängnis erhalten?
Ich glaube, das große Problem, das diese „Demokratie“ hat – und ich setze Demokratie in Anführungszeichen – ist, dass es in Bezug auf die Menschenrechte sehr wenig gibt, was sich in den vergangenen gut 30 Jahren nach der Diktatur verbessert hat. Bis zum heutigen Tag gibt es immer noch mehr als tausend verschwundene Häftlinge. Ich glaube, der Staat steht in der Pflicht, für Wahrheit, Gerechtigkeit und für Wiedergutmachung zu sorgen, vor allem für die Angehörigen. Dabei geht es nicht nur um die materielle Wiedergutmachung, sondern um Aufarbeitung. Aber wir sehen, dass heutzutage versucht wird, die Erinnerung und die Geschichte zu verbergen, auch von der jetzigen Regierung [aktuell ist in Chile mit Gabriel Boric ein junger linker Politiker an der Macht; Anm. d. Red.].
Noch eine Anekdote, die zeigt, was ich meine: Vor ein paar Wochen war ich aufgrund meiner sozialen und politischen Aktivitäten im Parlament, um einen Brief zu übergeben. Am nächsten Tag beschwerten sich Parlamentarier der extremen Rechte, wie es möglich sei, dass ein Extremist, ein Terrorist, der zur Zeit der Diktatur Mitglied einer bewaffneten Organisation gewesen war, in den Kongress gelassen wurde. Nur eine Abgeordnete, Carmen Ger, die auch meine Anwältin war, als ich im Gefängnis saß, setzte zu meiner Verteidigung an. Ansonsten nahmen die Abgeordneten diese Schmähung des Kampfes gegen die Diktatur hin.

Protestkundgebung der Mapuche während eines Verfahrens am Gericht von Victoria, Chile. Foto: Massimo Falqui Massidda.

Augusto Pinochet wurde für die vielen Menschenrechtsverletzungen, die Folter, die Morde, für die er verantwortlich war, nie zur Rechenschaft gezogen. Aus gesundheitlichen Gründen galt er als nicht verhandlungsfähig. Glauben Sie noch an Gerechtigkeit?
Ich glaube, dass in der Welt eine sehr klare Vorstellung davon herrscht, wer Pinochet war. Pinochet wurde international nie anerkannt. Während der 17 Jahre seiner Diktatur konnte er praktisch in kein Land der Welt reisen. Die internationale Solidarität war in diesem Fall äußerst wichtig. Aber innerhalb Chiles konnte Pinochet tun, was er wollte. Er lebte und starb im Rahmen der Straflosigkeit. Hunderte oder Tausende von Folterern tun dies noch immer. Sie leben straffrei unter uns. Aber es sind nicht nur Folterer, sondern auch eine rechte Gesinnung, die in der Gesellschaft überdauert hat. Diese wird von der Presse, allen voran von der Tageszeitung El Mercurio gestützt, die schon während der Diktatur eine wichtige Rolle gespielt hat. Zudem waren viele Politiker, die heute als Parlamentarier im Kongress sitzen, damals aktive Teilnehmer an der Diktatur. Nahezu keiner wurde zur Rechenschaft gezogen. Das ist auch die Verantwortung derer, die dieses Land regiert haben; die mit denen, die die Menschenrechte verletzt haben, verhandelt und durch politische Vereinbarungen legitimiert haben.

Die Menschenrechtsverletzungen während der Diktatur, 2019 die Oktoberrevolution [Ab Oktober 2019 demonstrierten Menschen gegen soziale Ungleichheit. Die Proteste weiteten sich zu einer Bewegung für eine Verfassungs- und Wirtschaftssystemreform aus. Der (mittlerweile verstorbene) ehemalige Präsident Sebastián Piñera verlor in diesem Zug sein Kabinett und den Rückhalt im Volk; Anm. d. Red.], das Unrecht gegen die Mapuche, eine Verfassung und Polizeiorgane, die aus der Diktatur stammen. Wie sehen Sie dieses Land und die Situation für Minderheiten?
Ich beobachte, wie die Araucanía, das wichtigste Gebiet der Mapuche, immer weiter militarisiert wird. Soziale Bewegungen, vor allem Gewerkschaften, werden kriminalisiert. Das Demonstrationsrecht wird eingeschränkt und Demonstrierende werden verfolgt, wie es im Oktober 2019 der Fall war. Tausende Menschen wurden verhaftet und mehr als 400 junge Menschen haben ihr Augenlicht ganz oder teilweise verloren. Das alles sind Zeichen einer ausgehöhlten Demokratie. Es werden keine Anstalten gemacht, Dinge wirklich unter dem Gesichtspunkt der sozialen Gerechtigkeit ändern zu wollen.
Es ist nicht nachvollziehbar, dass wir noch immer unter der Verfassung von Pinochet leben. Natürlich muss man die zwei gescheiterten verfassunggebenden Prozesse nennen [2022 und 2023; Anm. d. Red.], von denen der eine radikale Veränderungen anstrebte und der andere das aktuelle Modell beibehalten wollte. Dabei kommen wir wieder auf die Rolle der Medien zurück, die mit Desinformationskampagnen und Lügen zum Scheitern einer neuen Verfassung beigetragen haben. Dazu kommt der politische Sektor, dem der Mut fehlt, die Ideen einer Transformation, eines Wandels, zu verteidigen. Dabei spreche ich nicht von einer sozialistischen Revolution, sondern von Veränderungen, die den Menschen in unserem Land ein besseres Leben ermöglichen würden: wie Reformen des Pensionssystems, des Bildungswesens, im Gesundheitssystem. Allesamt Forderungen, die von der Mehrheit der chilenischen Gesellschaft getragen werden.

Gibt es etwas, das Sie Aktivisten, die derzeit im Gefängnis sitzen, sagen möchten?
Ich spreche meine Solidarität all‘ den Inhaftierten aus: den inhaftierten Mapuche und den politischen Gefangenen der Revolte im Oktober; ich solidarisiere mich auch mit den Familien der Verschwundenen, die immer noch nach ihren Angehörigen suchen; und meine Solidarität gilt den indigenen Gemeinschaften im Süden Chiles, die ständig von Militarisierung bedroht werden, die der chilenische Staat vorantreibt. Ich appelliere an die internationale Gemeinschaft, an die internationale Solidarität und an die Völker der verschiedenen Kontinente unseres Planeten: Glaubt nicht, dass sich die Dinge in Chile grundlegend geändert hätten. Im Gegenteil! Dieses Modell hat sich gefestigt, dieses System hat sich gefestigt. Es ist eines der Länder mit der größten Ungleichheit – weltweit! Das spiegelt sich auch in Fragen der Menschenrechte wider, bei denen es enorme Defizite in Bezug auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung gibt. Ich fordere Solidarität und Freiheit für die aktuell inhaftierten politischen Gefangenen!

Chile
Die Republik Chile liegt im Südwesten Südamerikas. Circa 18,7 Millionen Menschen leben hier. Davon gehören Schätzungen zufolge etwa 11 Prozent indigenen Völkern an. Die Mapuche sind das größte indigene Volk in Chile. Eher nördlich leben zudem unter anderem Angehörige der Völker der Aymara, Diaguita oder Quechua. Die Rapanui bewohnen traditionell die zu Chile gehörenden Osterinseln. Obwohl Chile zu den wirtschaftlich und sozial stabilsten Ländern in Südamerika zählt, gibt es große soziale Probleme. Im Verlauf der Proteste 2019 gegen die soziale Ungleichheit warfen die Interamerikanische Kommission für Menschenreche sowie das Hochkommissariat für Menschenrechte der Vereinten Nationen den Strafverfolgungs- und Justizvollzugsbehörden schwere Menschenrechtsverletzungen vor. Zudem ringen Mapuche immer wieder um ihre Rechte. Aufgrund eines sogenannten „Anti-Terror-Gesetzes“ aus der Pinochet-Diktatur landen sie dafür viel zu oft in überfüllten Gefängnissen. Bis heute gilt in Chile die Verfassung aus der Zeit der Pinochet-Diktatur. Zwei verfassunggebende Prozesse waren 2022 und 2023 gescheitert. (jf)

Vasili Carrillo Nova
Der ehemalige Gefangene und Interviewpartner Vasili Carrillo Nova wurde am 18. Mai 1957 als zweites von zwölf Kindern geboren. Seine Eltern sind der bekannte politische und soziale Anführer Isidoro Carrillo Tornería und Isabel Nova González. Während der Diktatur in Chile wurde er zweimal verhaftet und gefoltert. Statt einer Aufarbeitung wurde er 1993, nach der Diktatur, für dieselben Straftaten vor Gericht gestellt und zu circa drei Jahren Haft verurteilt. Da er während der Diktatur bereits in Haft gesessen hatte, galt die Strafe als verbüßt. Damit legitimierte das Rechtssystem des Nach-Diktatur-Chiles vermeintlich das Unrecht aus der Diktatur. Auch später blieb Carrillo Nova politisch und sozial engagiert, vertrat die Rechte ehemaliger politischer Gefangener, kandidierte als Bürgermeister, übernahm politische Ämter und gründete ein Kulturzentrum. Heutzutage betreibt er ein kleines Restaurant und arbeitet als Taxifahrer. (jf)

[Info]
Jan Königshausen, Referent für Indigene Völker bei der Gesellschaft für bedrohte Völker, führte das Interview am 4. Juni 2024 per Videoanruf. Anschließend übersetzte er es aus dem Spanischen. Dabei wurde es sprachlich leicht angepasst. Johanna Fischotter half bei der Überarbeitung des Interviews.