Von Ulrich Delius
Der Nil bedeutet Leben. Doch am längsten Fluss Afrikas kriselt es: Seine Anrainerstaaten sind sich über eine faire Nutzung des Wassers nicht einig. Ein Krieg um das Nilwasser hätte jedoch katastrophale Folgen für die gesamte Region in Nordostafrika – und würde kein Problem lösen.
Für den Bauern Abdel Aziz bedeutet der Nil alles. Denn ohne das Wasser des Flusses könnte er seine Reisfelder im Nildelta Ägyptens nicht bewässern. Der Nil schafft Leben und eine Existenz für Millionen Menschen. Baumwolle, Weizen und Reis werden an seinen Ufern seit Jahrhunderten angebaut. Das Nildelta gilt als eine der am dichtesten bevölkerten Regionen Ägyptens. Fast 1.000 Menschen leben hier pro Quadratkilometer, rund doppelt so viel wie im dicht besiedelten Bundesland Nordrhein-Westfalen.
Doch seit fünf Jahren klagen die Bauern im Delta über immer mehr Probleme. Das Wasser bleibt oft aus oder ist so verschmutzt, dass es große Umweltprobleme verursacht. Denn Industrie-Unternehmen und Städte verfügen nicht oder nur über unzureichende Kläranlagen. Oft wird der Abfall in Kanälen entsorgt, die schließlich in den Nil einmünden und die Wasserqualität stetig verschlechtern.
Außerdem nimmt die Versalzung der Böden in bedenklichem Maße zu, weil der Meeresspiegel des Mittelmeeres auch aufgrund des Klimawandels deutlich ansteigt. Doch salzige Böden erschweren die intensive landwirtschaftliche Nutzung des Landes. Zum Teil sind dies hausgemachte Probleme Ägyptens, die die Lebensbedingungen im Nildelta erschweren.
Noch mehr fürchtet Abdel Aziz aber, dass bald kaum mehr Wasser für die Bewässerung der Felder zur Verfügung stehen könnte. Denn es gibt Streit über die Nutzung des Wassers. Für Abdel Aziz sieht es nicht gut aus. Viele Anrainerstaaten des Flusses werfen den Ägyptern vor, ein System der Ungleichheit bei der Bewirtschaftung des Flusses aufgebaut zu haben. Dieses benachteilige andere Staaten systematisch und schürt somit Krisen.
Längster Fluss Afrikas
Mit rund 6.800 Kilometern ist der Nil nicht nur der längste Strom Afrikas, sondern ringt auch mit dem Amazonas um den Titel des längsten Flusses der Welt. Wenn vom Nil die Rede ist, denken zwar die meisten Menschen an Ägypten. Doch der Weiße Nil entspringt in den Bergen Ruandas und Burundis und fließt über Tansania, den Südsudan und den Sudan nach Ägypten. Der Blaue Nil hingegen entspringt im regenreichen Hochland Äthiopiens. Im Sudan vereinigt er sich mit dem Weißen Nil. Auch weitere bedeutende Zuflüsse des Nils kommen aus Äthiopien. Insgesamt machen sie rund 86 Prozent des Nilwassers in Ägypten aus.
Nach Ägypten ist der Sudan der intensivste Nutzer des Nilwassers. So wurden dort seit dem Jahr 2003 sechs größere Staudämme errichtet. Mit dem Stauwasser können rund 18.000 Quadratkilometer Land bewässert werden.
Neben Ägypten und dem Sudan gibt es andere Anrainerstaaten des Stromes, die seit Jahren immer massiver auf eine faire Nutzung des Flusswassers dringen. Zehn Staaten werden als Anrainer des Stromes angesehen: Ruanda, Burundi, Kongo, Tansania, Kenia, Uganda, Äthiopien, Südsudan, Sudan und Ägypten. Geht es nach den Ägyptern, haben die anderen Länder keine Vorstellung von der Bedeutung des Flusses für Ägyptens Kultur und Hochzivilisation schon vor tausenden Jahren.
Faire Nutzung des Wassers gefordert
In den Nachbarländern Ägyptens und des Sudan wurden in den vergangenen Jahren die Stimmen immer lauter, die eine gerechtere Nutzung des Wassers verlangen. Insbesondere wollen diese Staaten nicht mehr hinnehmen, dass sich Ägypten und der Sudan im Jahr 1959 in dem von Großbritannien vermittelten Abkommen zur Nutzung des Nilwassers darauf verständigten, die Nutzung dieser Ressourcen alleine unter sich aufzuteilen. So sollte Ägypten 82 Prozent des Wassers nutzen dürfen, während auf den Sudan 18 Prozent entfielen. Die Bedürfnisse der acht weiteren Anliegerstaaten wurden in dem Abkommen ignoriert.
Niemand zweifelt daran, dass dieser Vertrag heute nicht mehr zeitgemäß ist. Doch in Ägypten geht nicht nur bei den Bauern im Delta die Angst um. Denn Ägyptens Politiker wissen um die enorme Bedeutung des Nilwassers für den sozialen Frieden im Land. Bei einem jährlichen Bevölkerungswachstum der 82 Millionen Bewohner von 1,5 Prozent wissen sie, wie groß die Herausforderung ist, immer mehr Menschen Arbeit und ein Auskommen zu gewährleisten. Bislang war der Nil dabei eine wichtige Stütze. Doch die Zeiten ändern sich.
Äthiopien schafft neue Fakten
Vor allem in Äthiopien ist die Kritik an dem unfairen Abkommen unüberhörbar. Das Land schafft mit dem Bau des Grand-Renaissance-Staudamms am Blauen Nil zudem neue Fakten. Das mehr als drei Milliarden Euro teure Staudamm-Projekt gilt als Vorzeige-Vorhaben des Landes und wird weitgehend aus eigenen Mitteln finanziert.
Mit einer Einweihung des Großstaudamms, der 6.000 Megawatt Elektrizität produzieren soll, wird aber erst in einigen Jahren gerechnet. Beim Bau hat es Verzögerungen gegeben. Äthiopiens Regierung behauptet, dass der Staudamm keine Folgen für den Wasserlauf des Nils haben wird. Doch diesen Zusicherungen vertraut man in Ägypten nicht. Dort werden Horror-Szenarien eines austrocknenden Nils für wahrscheinlicher gehalten.
Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi hat viel versucht, um Äthiopien wegen der Staudamm-Frage international zu isolieren. So traf Sisi im Dezember 2016 Eritreas Diktator Isaias Afewerki, um eine Koalition gegen Äthiopien zu schmieden. Damals war Äthiopien noch Eritreas Erzfeind. Doch mit der Friedensinitiative des neuen äthiopischen Premierministers Abiy Ahmed gegenüber Eritrea ist diese Strategie Ägyptens gescheitert.
Ägyptens Kritiker machen Druck
Sechs Staaten aus dem Nil-Gebiet (Äthiopien, Kenia, Ruanda, Burundi, Tansania und Uganda) unterzeichneten im Jahr 2010 in der ugandischen Stadt Entebbe das „Nile River Basin Cooperative Framework Agreement“ (dt. etwa: Rahmenvertrag zur Kooperation über das Nilbecken), das die ungerechten Verträge aus der Kolonialzeit ersetzen soll. Zehn Jahre hatten die Staaten über diese Grundsatzerklärung verhandelt.
Ägypten und Sudan lehnen die Erklärung bis heute ab. Sie bestehen darauf, dass alle Unterzeichner zusichern sollten, durch Eingriffe in den Wasserhaushalt andere Staaten nicht zu gefährden. Letztlich geht es ihnen noch immer um ihre alten Vorrechte aus den Kolonialverträgen. So wachsen die Spannungen zwischen den Anliegerstaaten des Nils weiter – vor allem zwischen Ägypten und Äthiopien. Aber auch zwischen Ägypten und dem Sudan bestehen so große Differenzen, dass ein Krieg nicht ausgeschlossen ist.
Angesichts der langen Geschichte von Krieg und schwersten Menschenrechtsverletzungen in Nordostafrika hätte ein Krieg um das Nilwasser katastrophale Folgen für die gesamte Region. Keines der anstehenden Probleme würde durch einen bewaffneten Konflikt gelöst. Doch Nationalismus und Drohungen gegen andere könnten vom eigenen Versagen ablenken und die Unterstützung zu Hause stärken. So ist die Gefahr eines Krieges um das Nilwasser groß, selbst wenn Ägypten zusichert, keine bewaffnete Auseinandersetzung zu suchen.